Satsang aus Sicht von Traumatherapie
Bindungstrauma lässt sich nicht auflösen durch Darinsein
Ich habe nichts gegen Satsang, im Gegenteil. Viele Menschen verirren sich jedoch in der Spiritualität…
Ich möchte in diesem Beitrag gerne mit einem Problem in der Satsangund Advaita-Szene aufräumen, in der Hoffnung das Betroffene erkennen was mit ihnen „gemacht“ wird. Es geht um das Stichwort REGULATION, was eines der zentralen Themen in der Traumaheilung ist.
Wie ich schon öfters betont habe werden gerade Menschen mit schwerem Entwicklungs/Bindungstrauma von der Advaita-Szene angezogen. Es kommen also Menschen dorthin, die innerlich ums Überleben ringen und dringenst eine sichere Bindung suchen, um ihre verlorenen Kindanteile nachträglich zu heilen. Solche Menschen brauchen *zwingend* externe Regulation und Ressourcenaktivierung, genauso wie Babies und kleine Kinder auf externe Regulation angewiesen sind, da ihr Parasympathikus nach der Geburt noch nicht voll ausgebildet ist!
Doch was passiert, der Lehrer kommt mit der absoluten Ebene und wirft sie gnadenlos auf auf sich selbst zurück und lässt sie fallen. Wie ich sehen kann und auch nicht anders erwarte ist das nicht zu verkraften, die Betroffenen taumeln in völliger Hilflosigkeit und Überflutung herum, ohne Halt. Es ist letztlich eine Retraumatisierung und absolut kontraproduktiv. Da sich die Betroffenen nicht bewusst sind was sie suchen und brauchen, gehen sie in ihrer Verzweifelung immer wieder dorthin und „flehen“ immer wieder um Beziehung und werden immer wieder fallen gelassen… manchmal bis zum völligen Zusammenbruch.
Übersetzt sagt der Lehrer nichts weiter als „Reguliere dich selbst“ und „Beziehung mit mir ist nicht drin“. Das ist exakt das Gegenteil was solche Menschen brauchen und eine Katastrophe für die Kindanteile. Oder würdest du einem völlig verlorenen, schreienden Kleinkind sagen „Vergiss deine Eltern, das sind nur leere Formen, fühle einfach was ist“?!
Liebe Lehrer bitte hört auf mit diesem Wahnsinn, verweist diese Menschen an einen Traumatherapeuten oder lasst euch entsprechend ausbilden.
Traumatisierte Menschen haben ein physisch(!) anderes Nervensystem als nichttraumatisierte Menschen. Gehirnareale haben andere Größen, sind anders verknüpft, haben einen anderen Aktivierungsgrad, usw.. Menschen mit Entwicklungstrauma haben ein Nervensystem was sich auf der Grundlage ständiger Lebensbedrohung entwickelt hat.
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Im Satsang heist es „Mach keine Geschichte daraus“.
Diese Aussage kann für bestimmte Menschen weitreichende Folgen haben. Für die Heilung von Trauma ist nämlich exakt das Gegenteil notwendig. Traumaheilung *ist* die Einordnung der Erlebnisse als Geschichte! (Hippocampus). Und zwar als kohärente, komplette Geschichte in Zeit und Raum, statt vagabundierende Erlebnisfraqmente im impliziten Gedächtnis.
Man könnte es auch so ausdrücken: Das Leiden ist erst dann zu Ende, wenn der Neocortex die fraqumentierten Erlebnisanteile zu einer kohärenten Geschichte in Zeit und Raum abgelegt hat. Das bedeutet eine physiologische(!) Änderung in Gehirn und Nervensystem. Erst jetzt hat das autonome Nervensystem realisiert, dass die Gefahr vorrüber ist. Erst jetzt ist das autonome Nervensystem wieder im Hier und Jetzt angekommen. Vorher lebte es quasi ununterbrochen in der traumatischen Situation weiter. Auch wenn der Mind verstanden hat, dass es vorbei ist nützt es nichts, solange der Rest des Nervensystems das nicht glaubt!
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Wenn ich einem 3-jährigen EP (Emotional Part) sage „You are in a story.“, dann kann ich genauso gut chinesisch reden. Auf der anderen Seite ist niemand da, der das hören kann. Die Hirnregion, die solch abstrakte und absolute Aussagen verarbeiten kann (der Präfrontale Cortex) ist stark heruntergedimmt wenn ein EP vorne ist. Dafür ist die Amygdala hochgradig aktiviert! Statt also mit absoluten Aussagen zu kommen, braucht ein solcher Anteil eine alters- und situationsgerechte
Umgangsweise, um wachsen und heilen zu können.
Manche Satsang-Besucher erkennen erst nach Jahren, dass sie dort keine Heilung und kein adequates Gegenüber für diese Anteile finden, dass die Beziehung zum Lehrer keine sichere Bindung ist. Was ich immer wieder sehe ist, dass es an diesem Punkt zum Zusammenbruch, Klinikaufenthalt oder Suizidalität kommt, was für mich völlig nachvollziehbar ist und garnicht anders sein kann. Aber leider erkennen die Betroffenen selbst dann nicht, dass hier etwas grundlegend schief läuft, dass sie etwas anderes brauchen. Und die meisten Satsanglehrer sehen es auch nicht, sie beharren darauf, dass es möglich ist jeden direkt in die absolute Ebene zu bringen. Und das ist ein Trugschluss, dieser Schritt ist erst ab einem bestimmten Maß an Kohärenz, Organisation und Sicherheit im Nervensystem möglich. Dabei wäre es doch ganz einfach: „Bitte mach‘ zusätzlich zum Satsang noch Traumatherapie.“