Der leere Laden
Eine Geschichte für die
Seele (Märchen)
Von allen Geschäften und Läden in der Stadt war er der Merkwürdigste, und gleichzeitig auch der Schönste. Das Schaufenster strotzte nur so vor Licht- und Glitzereffekten, von wunderschönen Gegenständen, Spiegeln, Edelsteinen und tausend Dingen. Niemand konnte vorbeigehen ohne nicht wenigstens einen Blick darauf zu werfen. Kinder drückten stundenlang ihre Nasen an der Scheibe platt und verloren sich in dem bunten Schauspiel das sich darin bot: Wirbelnde Farbräder, Kaleidoskope aus Wasser, bunte Figuren, Spielzeug, ein endloses Sammelsurium an schönen
und faszinierenden Dingen.
Täglich wurde das Schaufenster neu arrangiert, Langeweile trat also erst gar nicht auf. Und so war es eines der Gesprächsthemen der Stadt, was sich denn gerade im „Schaufenster“ so tat.
Doch das Merkwürdigste an diesem Laden war, dass man darin nichts kaufen konnte. Wer den Laden betrat fand sich genau innerhalb dieses verwirrenden Sammelsuriums wieder, dass im Schaufenster bereits zu sehen war. Niemand war da, man konnte sich nur umsehen. Ein Laden wo man nichts kaufen konnte und stattdessen genau das wiederfand, was bereits im Schaufenster ist. Dies war die Erfahrung der meisten Menschen.
Es gab aber einige wenige, die genauer hinsahen und feststellten, dass sich die Eingangstür ja innerhalb des Schaufensters befand! Somit war es gar nicht die tatsächliche Tür zum Laden, sondern gehörte zur Dekoration! Und natürlich, wenn man sie benutzte, kam man nur in das Schaufenster, aber man gelangte nicht in den Laden dahinter. Eine Eingangstür, die gar keine war. Es war eine Täuschung.
Daraufhin begannen ein paar Neugierige nach der echten Eingangstür zu suchen und fanden sie auch nach einiger Zeit. Diese war jedoch so gut wie gar nicht zu sehen. Nur wenn man zu einer bestimmten Tageszeit davor stand und die Sonne darauf viel, sah man die Umrisse einer uralten, verfallenen Tür, die wohl seit Jahrzehnten niemand mehr geöffnet hatte. Jemand nahm seinen Mut zusammen und versuchte die Tür zu öffnen, um in den Laden zu gelangen. Aber als er die Tür berührte zerfiel sie.
Der gesamte Ladenraum war völlig leer, nur bedeckt mit einer uralten Staubschicht und ein paar Spinnweben. Nichts war dort, nicht mal Möbel. Hier war absolut nichts zu bekommen, eine totale Enttäuschung. Es passte überhaupt nicht zu dem fantastischen Schaufenster. Diese Leere und Enttäuschung machte die Menschen wütend. Sie waren beleidigt, fühlten sich auf den Arm genommen und liefen ärgerlich wieder hinaus. Sie hatten sich wegen des Schaufensters etwas mindestens ebenso Schönes im Innern erhofft.
Irgendwann hörte ein alter Antiquitätenhändler von der Geschichte und nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Er war Experte für alles was alt war, hatte einen guten Riecher für Geheimnisse. Also ging er los und betrat ebenfalls den leeren Ladenraum. Er suchte alles ab, stellte Vermutungen an, überlegte und forschte. Auch wenn er auf Grund einiger Abdrücke rekonstruieren konnte was hier einmal gestanden haben mag, so war es doch bloß Spekulation und half nicht weiter. Nichts deutete auf den Ladenbesitzer hin.
So verging die Zeit und die Menschen machten sich keine weiteren Gedanken darüber. Doch eines Tages kam ein junges Mädchen zu dem Geschäft. Berauscht von dem bunten Schaufenster wollte es unbedingt in den Laden und einiges davon kaufen. Es ging durch die verfallene Tür und betrat den leeren Ladenraum. Doch als es sah, dass dort überhaupt niemand ist, nichts zu finden war was man kaufen oder bekommen oder essen konnte und niemand mit dem man reden oder spielen konnte wurde es ganz traurig. Es sah doch so schön bunt aus das Schaufenster, wieso ist
hier niemand?! Es stand auf dem staubigen Boden und brach in Tränen aus und weinte bitterlich. Aber wie es so dastand und weinte bildete sich langsam eine Pfütze von Tränen auf dem Boden, die immer größer wurde und nach und nach den Staub wegspülte.
Als der Boden von den Tränen schließlich reingewaschen war, erschien eine Bodenluke. Oder war sie unter dem Staub nur nicht sichtbar gewesen!? Das Mädchen nahm allen Mut zusammen und öffnete sie mit aller Kraft. Darunter war es stockdunkel, erst nach einiger Zeit als sich die Augen daran gewöhnt hatten erkannte sie einen Jungen in der Tiefe des Kellers sitzen. Er saß da, regungslos und zusammengekauert. Hinter ihm in der Tiefe war ein See zu erkennen. Dieser See war aber nicht dunkel sondern schien von innen aus sich selbst heraus zu leuchten. Neben dem
Jungen lag eine große Menge an Edelsteinen sowie ein goldener Spiegel. Er hatte sich hier seit unzähligen Jahren versteckt und konnte alleine von unten die Luke nicht mehr öffnen.
Außer sich vor Freude rief das Mädchen hinunter und erweckte den Jungen wieder zum Leben. Im Laufe der Tage und Wochen richteten sie den Laden wieder her. Es war eine große Freude, denn es kamen wieder Kunden herein und kauften oder verkauften ihre Sachen. Schließlich wurde es zu einem lebhaften Treffpunkt in der Stadt, wo man sich gerne aufhielt und plauderte oder auch den einen oder anderen Tee zu sich nahm.
Die Luke am Boden jedoch und alles was sich darunter verbarg blieb ein Geheimnis der Beiden. Wer aber gut zu ihnen war und litt durfte den Keller betreten:
Traurige und einsame Menschen badeteten im leuchteten See.
Arme und Erfolglose nahmen sich einen Edelstein.
Verlorene Seelen warfen einen Blick in den goldenen Spiegel.